Geschichte der Physiotherapie
Altertum bis Neuzeit
Bereits aus der Antike sind uns gezielte gymnastische und diätetische Erziehungsideale überliefert. Die Athleten der antiken Olympischen Spiele hatten speziell ausgebildete Trainer, die über die so genannte "Körperhygiene" ihrer Schützlinge wachten. Damit taten sie für die Gesundheit und Vitalität der jungen Leute oft mehr als jeder Arzt. Auch der griechische Arzt Hippokrates und sein späteres römisches Pendant Galen hoben die gesundheitliche Wirkung aller "Leibesübungen" hervor.
Schon früh nutzte man die positiven Beobachtungen zur Gesundheitsberatung der Bevölkerung. Man empfahl regelmäßige Bewegung in Form von Spaziergängen, Schwimmen, Laufen, Reiten, Spielen und Tanzen. Auch die erholsame und heilende Wirkung von Massagen und Heilbädern ist seit der Antike bekannt. Die Diätetik bezog sich nicht nur auf eine gesunde Ernährung. Ebenso wurde auf ein ausgewogenes Verhältnis von Wachen und Schlafen geachtet.
Bis ins hohe Mittelalter hinein änderte sich daran nicht viel, die "Rezepte" blieben die gleichen. Eher war es so, dass durch den kirchlichen Einfluss der Körper in Vergessenheit geriet. Als gottesfürchtige Geschöpfe wurde das Leben und Leiden als schicksalhaft betrachtet. Dies änderte sich erst mit der Renaissance, in der die antiken Ideale wieder erwachten.
Humanismus und Aufklärung
Vom Humanismus beeinflusst rückten auch Frauen, Kinder und Behinderte Menschen mit ihren besonderen Bedürfnissen und Erkrankungen in den Mittelpunkt medizinischer Betrachtung. Im 18. Jahrhundert begründete der französische Arzt Nicolas Andry die Orthopädie (das "aufrechte Kind"). Er beobachtete systematisch die häufigen Haltungsschwächen und Deformitäten bei Kindern. Er verschrieb spezielle gymnastische Übungen zur Therapie und Prophylaxe. Der Schweizer Arzt Jean André Venel eröffnete 1780 die erste orthopädische Klinik der Welt in Orbe / Kanton Waadt.
Johann Christoph Friedrich Guts Muths wurde zum Begründer der pädagogischen Gymnastik in Deutschland. Franz Nachtegall gründete 1798 in Kopenhagen die "Gymnastische Gesellschaft". Aus ihren Leibesübungen entwickelte der Schwede Pehr Henrik Ling eine gezielte therapeutische Gymnastik, die wie heute noch an den "Gebrauchsbewegungen des Alltags" angelehnt war. Dabei kombinierte er seine Behandlungen mit Massagen für spezielle Muskelgruppen.
Industrialisierung und Moderne
Der Berliner Arzt Albert C. Neumann brachte die "schwedische Heilgymnastik" nach Deutschland. Er definierte als erster den Beruf des "Gymnasten" und setzte sich für die berufliche Emanzipation der Frauen ein. 1853 eröffnete er die erste Gymnastenschule für Damen. Der Schwede Gustav Zander entwickelte ab ca. 1865 ein System von Gymnastik- und Massageapparaten, die medico-mechanische Therapie. In Deutschland wurden die Geräte u.a. in "Zander-Instituten" als Traingsgeräte in Vorsorge und Therapie eingesetzt, später kamen Weiterentwicklungen, Plagiate und einfachere Bewegungsgeräte hinzu.
Zudem wuchs der Bedarf an Behandlungen durch die Kriege (1870/71, 1914-18 und 1939-45) und infolge der steigenden Arbeits- und Verkehrsunfälle. Johann Hermann Lubinus gründete die von vielen Fachärzten angesehenen "Lubinus-Schulen". Nun machte die Krankengymnastik erstmals verstärkt mit Patienten aus der Chirurgie und Neurologie Bekanntschaft (die Kinderlähmung nahm weltweit ein hohes Ausmaß an). Für die Behandlung von Herz- und Lungenerkrankungen sowie in der Rheumatologie fand eine Rückbesinnung zu Heilbädern und der Kneipp-Lehre statt.
Im Jahr 1941 wurde Wolfgang Kohlrausch zum ersten Ordinarius für Bewegungstherapie an die nationalsozialistische Reichsuniversität Straßburg berufen.
Nach der Währungsreform 1948 kam es im Gesundheitswesen zu Sparmaßnahmen, die zu einem deutlichen Stellenabbau führten. Erst mit der Gründung von Landesverbänden konnte sich der Berufsstand wieder besser etablieren und ausbauen. Verträge mit Krankenkassen und eine Vereinheitlichung der Ausbildung machten krankengymnastische Einrichtungen wieder rentabel. In den 1950er Jahren bildete sich der ZVK (Zentralverband der Krankengymnasten), bis heute der größte aller deutschen Verbände. Durch seine Arbeit gelang 1959 eine bundesgesetzliche Abgrenzung des "Krankengymnasten" zu anderen ärztlichen Hilfsberufen.
Im Zuge der Wiedervereinigung und der Anpassung an den internationalen Sprachgebrauch kam es 1994 zu einer Novellierung der Berufsgesetze (siehe MPhG): Krankengymnasten heissen nun "Physiotherapeuten".
Quelle: http://www.uni-protokolle.de/Lexikon/Physiotherapeut.html
Theoriebildung
In den letzten 100 Jahren hat sich die deutsche Physiotherapie vorwiegend darum bemüht, sich im Gesundheitswesen zu etablieren und zu verankern. Sie hat sich deshalb entlang der Medizin entwickelt und sich somit am medizinischen Denkmodell definiert.
Grundlegend für das medizinische Modell ist das Konzept der "Normalität": Abweichungen vom Normalen sind abnormal. Ziel der Therapie ist es, die Normalität wiederherzustellen. Jede Krankheit hat demnach einen Auslöser (beispielsweise einen Keim), der nachweisbar ist. Die Medizin behandelt demnach nicht das Individuum, sondern die Krankheit und versucht sie zu eliminieren.
Erst seit Mitte der 90er Jahre vollzieht sich allmählich ein Paradigmenwechsel. Die Krankheit wird nicht mehr primär als Funktionsstörung gesehen, die repariert werden soll, sondern eine ganzheitliche Sichtweise steht im Vordergrund.